Erklärung zur Initiative für die Lösung der Syrien-Krise

Im Jahr 2011 begann in Syrien eine revolutionäre Volksbewegung als Folge von Ausgrenzung und Marginalisierung. Dies führte zu einer anhaltenden politischen Krise, die noch immer nicht gelöst ist. Ausgehend von unserer Verantwortung gegenüber dem syrischen Volk in all seiner Vielfalt und gemäß den Grundsätzen und der politischen Vision des Syrischen Demokratischen Rates, die auf eine politische Lösung der syrischen Krise abzielen, schlägt die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, die sich aus demokratischen Institutionen, Verwaltungen, politischen Parteien, Kräften und Organisationen zusammensetzt, diese Initiative vor, um eine friedliche und demokratische Lösung zu erreichen, die dem Leiden von Millionen Syrer*innen ein Ende setzen können.

Die Krise in Syrien hat politische, wirtschaftliche und soziale Konsequenzen nach sich gezogen. Hunderttausende Syrer*innen haben ihr Leben verloren. Millionen Menschen aus Jarabulus, Al-Bab, Azaz, Idlib, Efrîn, Ras Al-Ain (Sere Kaniye), Tal Abyad (Girê Spî) und anderen syrischen Gebieten waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und wurden entweder Binnenvertriebene oder Flüchtlinge.

Eine große Zahl von Syrer*innen war in einigen Aufnahmeländern unmenschlichen Praktiken ausgesetzt. Das verheerende Erdbeben, das am 6. Februar 2023 die Türkei und Syrien erschütterte, verschlimmerte das Leid der syrischen Binnenvertriebenen und Flüchtlinge. Die türkische Regierung, angeführt von der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), hat die syrischen Flüchtlinge bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe diskriminiert. Die syrische Bevölkerung lebt in ganz Syrien unter schwierigen Bedingungen und ist mit gravierenden Problemen wie Armut, Arbeitslosigkeit, Rassismus, Unsicherheit und Instabilität konfrontiert, die sich durch das Erdbeben noch verschärft haben.

Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Syrien dürfen nicht weiter unter der katastrophalen humanitären Lage leiden. Sie erwarten dringend eine friedliche Lösung, die Sicherheit, Stabilität und eine demokratische Zukunft garantiert und ihnen ein freies und menschenwürdiges Leben in ihrem Land ermöglicht.

Daher müssen alle verantwortlichen politischen Kräfte zusammenarbeiten und die erforderlichen Schritte unternehmen, um eine gemeinsame Lösung zu finden, die auf den Grundlagen des Dialogs, der Zusammenarbeit und des Konsenses beruht.

Die Selbstverwaltung ist sich ihrer Verantwortung gegenüber allen Syrer*innen bewusst. Sie wird sich daher bemühen, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Krise zu lösen und Frieden und Stabilität zu schaffen – gerade auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sowohl regionale als auch internationale Prozesse und Formate wie Genf, Astana, der sogenannte Verfassungsausschuss und andere keine nennenswerten Ergebnisse im Hinblick auf eine Lösung der Syrien-Krise erbracht haben. Dies könnte auf nachfolgende Hauptgründe zurückzuführen sein:

1. Das Nichtvorhandensein einer angemessenen Analyse und Bilanz der Krise in Syrien;
2. Das Fehlen einer Roadmap für eine friedliche und demokratische Lösung;
3. Der Ausschluss einiger syrischer Akteure aus dem Dialogprozess und das Beharren auf externen Lösungen.

Darüber hinaus hat es der syrische Staat versäumt, eine positive und wirksame Rolle zu spielen, die zu einer politischen Lösung der Krise in Syrien führen könnte. Er hätte sich von Anfang an um eine friedliche Beilegung der Krise bemühen und alle Parteien auffordern müssen, einen Ausweg zu finden. Er ließ sich jedoch nicht auf diese Möglichkeit ein, was die Lösung verzögerte, die Krise verlängerte und zu weiterem Leid für die Syrer*innen führte.

Die Lösung der syrischen Krise muss innerhalb des Landes gesucht werden, die syrische Regierung muss dabei eine verantwortungsvolle Haltung einnehmen und dringend Maßnahmen ergreifen, die zum Erfolg einer internen Lösung beitragen könnten.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle politischen Kräfte, einschließlich der politischen Parteien und der Frauen- und Jugendorganisationen, unabhängig davon, wie groß oder klein sie sind, ein Mitspracherecht bei der Gestaltung der Zukunft Syriens erhalten. Dies ist von größter Bedeutung, um Frieden und Stabilität zu erreichen.

Syrien ist ein multiethnisches und multireligiöses Land. Jede tragfähige Lösung muss alle Gruppen in die Bestimmung ihrer Zukunft und die Lösung der Krise in Syrien einbeziehen. Um dies zu erreichen, müssen die folgenden Punkte geklärt werden:

1. Die Selbstverwaltung bekräftigt die Einheit des syrischen Landes und ist der Ansicht, dass die Probleme Syriens nur im Rahmen der Einheit Syriens gelöst werden können. In diesem Zusammenhang und um eine Lösung zu erreichen, bekräftigt die Selbstverwaltung ihre Bereitschaft, mit der syrischen Regierung und allen syrischen Parteien zu Konsultationen und Gesprächen zusammenzukommen und einen Dialog zu führen, um Initiativen zur Lösung der syrischen Krise zu ergreifen.

2. Die Krise in Syrien ist auf das Fehlen einer demokratischen und sozialen Politik und die Ausgrenzung der verschiedenen ethnischen und religiösen Gemeinschaften in Syrien zurückzuführen. Jede ethnische und religiöse Gruppe hat ihre eigenen Merkmale und das Recht auf Staatsbürgerschaft und Gleichheit. Es gibt nationale Gemeinsamkeiten zwischen allen Syrer*innen und unterschiedliche Kulturen, die anerkannt und respektiert werden müssen, um das nationale Gefüge Syriens zu bereichern. Daher sollte jede demokratische Lösung die legitimen Rechte aller religiösen und ethnischen Gemeinschaften, wie der arabischen, kurdischen, assyrischen und anderer anerkennen.

Die kollektiven Rechte der syrischen Gemeinschaften müssen geschützt werden, und es müssen demokratische Werte und Mechanismen entwickelt werden, um ein politisches Verwaltungssystem aufzubauen, das auf Demokratie, Pluralismus und Dezentralisierung beruht und allen Syrer*innen gleiche Rechte garantiert.

3. Das demokratische politische System in Nord- und Ostsyrien hat gleiche Rechte für alle Menschen gewährleistet. Die Menschen können in einer Atmosphäre der Sicherheit und Stabilität frei leben. Sie können ihre Probleme mit Hilfe der autonomen Verwaltungen lösen, die es den Menschen ermöglichen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln, um alle Hindernisse und Herausforderungen zu überwinden, die auftreten können. Es ist zweifelsfrei erwiesen, dass sozialer demokratischer Frieden und Stabilität durch die Beteiligung aller politischen, kulturellen und sozialen Gruppen an den Verwaltungen erreicht wurden.

Wir glauben, dass das soziale, demokratische und ökologische Modell der Regierungsführung in Nord- und Ostsyrien, das auf der Gleichstellung der Geschlechter und ökologischer Nachhaltigkeit beruht, eine Grundlage und einen Baustein für eine Lösung der syrischen Krise bilden kann. Es kann erfolgreiche Lösungen für alle Probleme bieten, unter denen die syrische Gesellschaft leidet.

4. Die Selbstverwaltung betont, dass der wirtschaftliche Reichtum und die Ressourcen gerecht unter allen syrischen Regionen verteilt werden müssen. Die Ressourcen in Nord- und Ostsyrien, wie z.B. Öl, Gas und Landwirtschaft, gehören, wie auch andere Ressourcen in anderen Regionen Syriens, allen Syrer*innen. Die Selbstverwaltung betont, dass mit der syrischen Regierung eine Vereinbarung über die Aufteilung der Ressourcen im Wege des Dialogs und der Verhandlung getroffen werden muss.

5. Um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und alle Gebiete mit Hilfsgütern zu versorgen, müssen der Grenzübergang Al-Yarubiyah (Tal Koçer) und andere Übergänge wieder geöffnet werden. Die Hauptverantwortung hierfür liegt bei der syrischen Regierung. Es könnte eine vernünftige Lösung gefunden werden, die allen Parteien gerecht wird und den Interessen der Syrer*innen dient.

6. Um die Probleme und Risiken zu minimieren und zu begrenzen, mit denen die vertriebenen und geflüchteten Syrer*innen konfrontiert sind, erklärt sich die Selbstverwaltung bereit, sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten aufzunehmen, so wie sie auch andere Syrer*innen seit Beginn ihrer Gründung aufgenommen hat. Dementsprechend wird die Selbstverwaltung die notwendigen Maßnahmen in dieser Hinsicht ergreifen.

7. Die Selbstverwaltung bekräftigt, dass sie ihren Kampf und ihre Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus fortsetzen wird, um den Terrorismus des IS und anderen terroristischen Gruppen zu verhindern und ihre Bedrohung für Syrien, die Region und die ganze Welt zu beseitigen. Die Selbstverwaltung hat tausende ihrer Männer und Frauen im Kampf gegen den Terrorismus verloren und große Opfer gebracht, um die gesamte Welt vom Terrorismus zu befreien.

8. Die türkische Regierung hat die Krise in Syrien verschärft, das die territoriale Integrität des Landes und seine Einheit zerstört sowie terroristische Gruppen wie den IS und andere unterstützt. Die Intervention der türkischen Regierung in Syrien zielt darauf ab, von ihren innenpolitischen Krisen abzulenken und ihre Probleme durch Aggression und den Einsatz von Terroristen und Söldnergruppen in ihre Nachbarländer zu exportieren. Die aggressiven Praktiken des türkischen Staates haben zu menschlichen Tragödien und Menschenrechtsverletzungen geführt, die nicht toleriert werden können und die zu einer Veränderung der demografischen Zusammensetzung unserer Region geführt haben.

9. Die Ursachen für alle Probleme an der syrisch-türkischen Grenze sind auf die aggressive Politik der AKP- und MHP-Koalitionsregierung zurückzuführen, die darauf abzielt, die Innenpolitik Syriens zu beeinflussen und die politische Situation nach ihren Interessen umzugestalten. Die Vorwände und Argumente, die AKP und MHP vorbringen, um ihre Feindseligkeit gegenüber der Selbstverwaltung zu rechtfertigen, sind absolut nicht der Wahrheit entsprechend. Der Versuch, den Oberbefehlshaber der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in Sulaymaniyah zu ermorden, ist der deutlichste Beweis dafür. Die Selbstverwaltung hegt keine Feindschaft mit dem türkischen Volk.

Der türkische Staat muss seine Besatzung der syrischen Gebiete beenden. Unser Volk möchte in Frieden mit dem türkischen Volk und allen Nachbarländern leben, aber wir bekräftigen, dass wir im Falle einer türkischen Aggression gegen unser Volk und unser Land von unserem Recht auf legitime Selbstverteidigung Gebrauch machen werden.

10. Um eine demokratische und friedliche Lösung in Syrien zu finden, wenden wir uns an die arabischen Länder, die Vereinten Nationen und alle aktiven internationalen Mächte und bitten sie, eine positive und konstruktive Rolle bei der Suche nach einer gemeinsamen Lösung mit der syrischen Regierung, der Selbstverwaltung und den nationalen demokratischen Kräften zu spielen.

11. Um die Krise im Rahmen der Einheit und Integrität Syriens zu lösen und eine politische Lösung zu entwickeln und umzusetzen, die die Interessen des syrischen Volkes schützt und wahrt, hat die Selbstverwaltung einen klaren Ansatz für eine vernünftige Lösung, den sie allen Parteien als Grundlage für einen Dialog und eine künftige Einigung vorschlägt.

Die Selbstverwaltung schlägt diese Initiative als nationale Grundlage vor und fordert alle Parteien auf, sich daran zu beteiligen und dazu beizutragen, indem sie die Bemühungen und Anstrengungen zur Beendigung des Konflikts in einer Weise beschleunigen, die nicht im Widerspruch zur Resolution 2254 des Sicherheitsrats und allen einschlägigen UN-Resolutionen steht. Die Selbstverwaltung ist auch bereit, alle Standpunkte und Lösungsvorschläge zu erörtern und die notwendigen Vorkehrungen für Gespräche zu treffen, um eine nationale Lösung zu erreichen.

Um die Krise in Syrien zu lösen, hat die Selbstverwaltung ihre historische und humanitäre Verantwortung übernommen, wohl wissend, dass Hunderttausende von Syrer*innen ihr Leben verloren haben und Millionen von Menschen in einer katastrophalen humanitären Situation leben.

Aus dieser Verantwortung heraus ruft die Selbstverwaltung die syrische Regierung und alle nationalen demokratischen Kräfte auf, auf diese Initiative zu reagieren und auf eine gemeinsame Lösung hinzuarbeiten, die die Krise und das Leiden der Syrer*innen beendet, um unser Heimatland wieder aufzubauen.

Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, 18. April 2023