Klimakrise und Wassernotstand in Nord- und Ostsyrien
Rede von Jihad Omer, Co-Vorsitzender der Kommunalverwaltungs- und Umweltbehörde der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES), auf der Veranstaltung des Vereins Städtefreundschaft Frankfurt-Kobane „Tödliche Wassernot in Rojava – Klimakrise und Wassernotstand – Wasser als Waffe in politischen Konflikten“ am 17.09.2023 in Frankfurt am Main
Ich möchte mich im Namen der Selbstverwaltung und der Menschen aus Nord- und Ostsyrien dafür bedanken, dass ich zu dieser wichtigen Veranstaltung eingeladen worden bin. Ich bedanke mich außerdem bei all den Menschen, die diese Konferenz organisiert haben. Ihre Arbeit ist für uns sehr wertvoll. Ich bedanke mich auch bei allen Teilnehmer*innen der Veranstaltung. Eure Arbeit ist ein wichtiger Beitrag zur Lösung der Wasserprobleme sowohl in Syrien als auch in vielen anderen Teilen der Welt. Wassernot verursacht große Probleme, deswegen hilft die internationale Arbeit wie eure, die zu ihrer Lösung beitragen will. Der globale Klimawandel zeigt sich in verschiedener Art und Weise: während es einerseits zu Hochwasser und Überflutungen kommt, haben andererseits die Menschen mit Dürren und Waldbränden zu kämpfen. Wir müssen dieses Problem als Ganzes wahrnehmen und gemeinsam lösen.
Wir, die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, arbeiten mit verschiedenen Organisationen zusammen, die versuchen dem Klimawandel entgegenzutreten, zum Beispiel durch Begrünungen. Das Embargo der letzten 10 Jahre gegen uns, gegen unsere Region, ist sehr hart. Das Embargo verhindert die Verwirklichung unserer Projekte. Sogar internationale Organisationen werden daran gehindert, in unseren Regionen ökologische Projekte durchzuführen. Das größte Problem in den Gebieten der Selbstverwaltung ist das Wasserproblem, deswegen freuen wir uns sehr über die internationalen Projekte gegen Wassernot. In den Regionen der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien leben über 5 Millionen Menschen und diese Regionen machen einen großen Teil des „fruchtbaren Halbmonds“ aus. Der Fluss Euphrat, der mit einer Länge von 2.800 Kilometern der längste Fluss Westasiens ist, ist für weite Teile der Bevölkerung die Trinkwasserquelle. Er fließt von der Türkei über Berge und Täler durch Syrien in den Iraq. Der Fluss Euphrat und der Fluss Tigris versorgen seit hunderten Jahren die Menschen dort und gelten als Lebensader der ökologischen Vielfalt der Region. Gemeinsam mit Grundwasserquellen und Regenwasserquellen sind diese zwei Flüsse die einzige Trinkwasserquelle der Region. Unsere Region, die die letzten Jahrhunderte als wasserreiche, fruchtbare Region galt, kämpft aktuell gegen Dürre und Wassernot. Viele Nebenarme des Euphrat sind bereits ausgetrocknet, deswegen wird für die landwirtschaftliche Bewässerung falscher Weise Grundwasser verwendet und der Grundwasserspiegel sinkt weiter.
Wasserknappheit hat massive Auswirkungen auf die Ökologie, und die Folgen für das Leben der Menschen sind enorm. Der Zugang zu sauberen Wasser ist ein Menschenrecht. Wasser ist für viele Bereiche sehr wichtig: Für die Stromerzeugung, für die Landwirtschaft und für eine funktionierende Wirtschaft. Uns muss bewusst sein, dass die Wasserkrise und ihre Folgen Auswirkungen auf unsere Arbeit haben. Unsere Regionen erleben eine sehr heftige Wasserkrise. Ein Hauptgrund dieser Krise ist die bnehmende Wassermenge des Euphrats mit der Folge der Austrocknung von Nebenflüssen. Die aktuelle Wasserkrise in Rojava hat eine enorme negative Wirkung auf das Leben der Menschen und das Klima der Region. Dies sind die Hauptgründe der Wasserkrise in unseren Regionen:
Der Klimawandel ist ein globales Problem, das sich vor allem im Mittleren Osten bemerkbar macht. Wenn es kaum regnet und die Temperaturen stetig steigen, trocknet die Erde aus. Internationale Berichte belegen, dass die Regenzeit in Syrien zwei Monate später einsetzt. Deswegen ist dieses Jahr das trockenste der letzten 70 Jahren gewesen. Über 75 % der Landwirtschaftsflächen brachten keine Erträge und die restliche Ernte war nicht gut.
Die türkische Besatzung ist ein anderer Grund dieser Wasserkrise. Die Türkei hat durch ihre Invasionen in Syrien alle internationalen und syrisch-türkischen Abkommen und Regelungen verletzt. Da das Wasser der Flüssen durch die Türkei nach Syrien ließt, kann die Türkei das Wasser sperren und die Wasserblockade als Waffe gegen die Bevölkerung von Nord- und Ostsyrien einsetzen. Die Türkei baut immer mehr Staudämme am Fluss Euphrat. Obwohl nach dem Protokollabkommen von 1987 zwischen der Türkei und Syrien über 500 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durchgelassen werden muss, fließen heute weniger als 200 Kubikmeter pro Sekunde. Deswegen sind 60 Prozent der Seen ausgetrocknet. Viele kleine Flüsse und Bäche, Seitenarme des Euphrats, sind inzwischen ausgetrocknet. Auch der Fluss Khabur (Xabûr) ist betroffen. Im Rahmen des türkischen Südost-Anatolien-Projekts hat die Türkei 22 Staudämme und 19 Kraftwerke gebaut, mit sehr negativen Folgen für die Regionen der Selbstverwaltung. Ab Ende 2021 konnte die Türkei über 80 % des Wassers, das nach Syrien fließt, kontrollieren. Aus diesem Grund sind seit Anfang 2023 viele unserer Wasserinfrastruktureinrichtungen lahmgelegt. 30 Wasserstationen, die die Bevölkerung versorgten, sind stillgelegt und die restlichen Wasserstationen können nicht einmal die Hälfte des Bedarfs decken. Die Staudämme Tischrin und Tabqa haben immer weniger Wasser, deswegen können sie die Bevölkerung nicht ausreichend mit Trinkwasser versorgen. Wegen der türkischen Staudämme ist darüber hinaus das Flusswasser viel schmutziger geworden. Einerseits lässt die Türkei kaum Wasser durch, anderseits verschmutzt sie das wenige Flusswasser und wir haben mit vielen hygienebedingten Krankheiten zu kämpfen. Nachdem der türkische Staat 2019 die Gebiete Serê Kaniyê und Girê Spî besetzte, sperrte sie den Durchfluss des Flusses Khabur durch Erddämme, wodurch diese Gebiete rasch austrockneten.
Am 20. November 2022 bombardierte die Türkei aus der Luft die zivile Infrastruktur der Selbstverwaltungsgebiete, vor allem Wasserspeicher und Wasserstationen, Weizen- und Brotlager, Energiestationen, Elektrizitätswerke, Treibstofflager. Das traf auch die Wirtschaft und die Kleinindustrie der Region sehr hart. Durch die Bombardierung der Treibstofflager wurden viele Orte vergiftet, unter anderem Wasserquellen und Nahrungsmittel. Durch die Bombardierung der Elektrizitätswerke hatten über 65 Dörfer keinen Strom und kein Leitungswasser mehr. Diese Luftangriffe haben Schäden in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar verursacht. Wegen dieser Luftangriffe flohen viele Menschen und verließen ihre Heimat. Genau das ist es, was diese spezielle Kriegsführung des türkischen Kolonialstaates beabsichtigt: die Vertreibung der Bevölkerung. Der türkische Besatzer-Staat hat nicht nur den Wasserfluss der Flüsse gesperrt, sondern bombardiert tagtäglich die Bevölkerung. Wir wissen alle, dass die Türkei in der Zeit, als der Islamische Staat die Gebiete kontrollierte, keinen einzigen Tag das Wasser abgestellt hat!
Nach der Sperre der Wasserstation Alok leiden über eine Million Menschen in der Region Hesekê (Hasaka) unter akutem Wassermangel. Diese Wasserkrise stellt eine Gefahr für das Leben dar, sie ist tödlich. Der türkischer Besatzerstaat setzt die Wassersperre gezielt als Kriegswaffe gegen die Menschen ein und schafft damit Fluchtursachen. Die Flüsse versorgen aber nicht nur unsere selbstverwalteten Gebiete, sondern auch die Gebiete des Baath-Regimes. Durch diese Wasserkrise werden kaum Baumwolle, Oliven, Weizen usw. geerntet, was eine Krise der Lebensmittelversorgung in ganz Syrien bewirkt. Die Verwendung des Grundwassers in der Landwirtschaft und der Einsatz von Düngemitteln bringen weitere Probleme mit sich. Das Regen- und Grundwasser stellt eine weitere wichtige Trinkwasserquelle dar, wegen der geringen Regenfälle können viele Flächen nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden.
Die Wasserversorgung der Region Hesekê erfolgt zurzeit hauptsächlich über Wassertanks. Täglich wird Hesekê mit über 370 Wassertanks versorgt. Das Wasser in den Wassertanks ist allerdings verunreinigt und verursacht Krankheiten wie Cholera und Typhus. Ein anderer Grund der Wasserkrise ist der Islamische Staat. Vor der Befreiung der durch den IS besetzten Gebiete, zerstörte er dort wichtige Infrastruktureinrichtungen wie Wasserstationen, Wasserspeicher und Elektrizitäswerke.
Ich fasse noch einmal die Folgen der Wasserkrise auf Nord- und Ostsyrien zusammen:
1. Trinkwasser
Es gibt kaum Trinkwasser für die Bevölkerung. Der Hauptgrund dieses Problem sind die Sperren des Euphrats und anderer Flüsse durch die Türkei. Die Wasserstaudämme Tishrin und Tabqa bekommen kaum Wasser, deswegen kann die Bevölkerung nicht ausreichend mit Trinkwasser versorgt werden. Dies bedeutet eine Gefahr für Gesundheitund Leben von über fünf Millionen Menschen in Nord- und Ostsyrien.
2. Stromversorgung
Über 80 % des Stroms in Nord- und Ostsyrien werden über den Euphrat durch Wasserkraft erzeugt. Weil das Wasservolumen des Euphrats massiv abgenommen hat, ist auch die Stromversorgung gefährdet.
3. Gesundheit
Aus den Flüssen sind Wassertümpel geworden. In ihnen vermehren sich gesundheitsgefährdende Keime und krankheitsübertragende Mücken. Viele Krankheiten wie Leishmanose (Übertragung durch Mücken) und Cholera sind in unseren Gebieten weit verbreitet und stellen eine große Gesundheitsgefährdung dar. Das Wasser aus den Leitungen eignet sich nicht als Trinkwasser, es ist nicht einmal zum Wäschewaschen geeignet. Die Menschen in unseren Regionen haben viel erlitten, sie haben gegen die gefährlichsten Terroristen der Welt gekämpft und ihre Regionen befreit. Im Kampf gegen den Islamischen Staat sind Tausende Menschen gefallen und der Kampf gegen ihn ist leider nicht beendet, denn er stellt immer noch eine Gefahr dar und versucht sich zu reorganisieren. Wir müssen einerseits gegen die IS-Terroristen kämpfen, anderseits kämpfen wir gegen den Terror der Türkei, die durch Drohnenangriffe die Menschen drangsaliert und ihr Leben durch Wassersperren bedroht. Die türkischen Drohnen fliegen ununterbrochen über unsere Gebiete, die Türkei bombardiert unsere Gebiete, sperrt das Flusswasser und treibt so die Menschen in die Flucht. Wir müssen dieses Vorgehen beim Namen nennen: das ist Terror. Während wir gegen den IS und den Terror der Türkei kämpfen, müssen wir uns um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen kümmern. Damit möchten wir Stabilität, Sicherheit und ein würdevolles Leben schaffen und eine Infrastruktur aufbauen, die den Menschen und der Wirtschaft dient. Dies gelingt uns nicht, wenn die Türkei uns ständig bombardiert und das Wasser sperrt, und uns direkt militärisch und indirekt angreift. Das Vorgehen der Türkei ist unmoralisch und unmenschlich. Wir rufen daher alle am syrischen Krieg beteilgten Akteure und die internationale Gemeinschaft – insbesondere die Bundesrepublik Deutschland – dazu auf, sich an die Seite der Menschen in der Region zu stellen und eine klare Haltung zu den Angriffen, Invasionen und enschenrechtsverletzungen der Türkei einzunehmen. Wasser darf nicht als Kriegswaffe eingesetzt werden!
Ich möchte mich am Anschluss meiner Rede nochmals bei allen Organisator*innen und Teilnehmer*innen der Veranstaltung herzlich bedanken und wünsche euch viel Erfolg bei eurer Arbeit.
Jihad Omer, Co-Vorsitzender der Kommunalverwaltungs- und Umweltbehörde der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES)